Frank Schön & Timo Lindenmaier & Horst Michel

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„Blog ohne Archiv“ – von Frank Schön

Vernissage – 10.11.2018

Finissage – 24.11.2018

Timo Lindenmaier
Timo Lindenmaier

Von Hütten und Tiefgaragen

Gerne wird derjenige der geistigen, vielleicht auch der körperlichen und letztlich der allgemeinen Unterauslastung geziehen, welchem der Sinn danach steht, sich Gedanken über auf den ersten Blick nutzfreie Zusammenhänge zu machen.  Dies dürfte in diesem Fall nicht anders sein, da es sich um die nicht nur im schieren und unendlich subjektiven Bereich der Ästhetik einzuordnenden Parallelen zwischen zwei der dominierenden Funktionsgebäude des letzten Jahrhunderts  handelt, namentlich der Hütte, welche indes vermutlich bereits seit vielen Zenturien die Wege zwischen den Feldern der darbenden Landbevölkerung säumt ( die begrenzte Haltbarkeit des Materials „Holz“ legt allerdings nahe, dass es sich bei den gezeigten Hütten um Bauten aus dem 20. Jahrhundert handeln dürfte) und andererseits der Tiefgarage, dem wohl wirkmächtigsten Symbol architektonischer Eindimensionalität unserer Tage und mithin dem quasi Ankerbauwerk eines entgleisten Funktionsdenkens, das sich in unseren Gesellschaften im Bannkreis der anglo-amerikanischen Wirtschaftsphilosophie spätestens seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges ebenso manifestiert wie leider auch metastasiert hat.

Fast könnte man sich bei einem raschen Gang durch eine Innenstadt in einer Kakistrokatie verortet sehen, einer „Herrschaft der Schlechtesten“ also, würde man Architekten den Stellenwert zugestehen, den diese Berufsgilde selbst für sich in Anspruch nimmt, was sich etwa in Pamphleten der „Bauhaus“-Bewegung niederschlägt, die zu lesen oder zu ignorieren ich indes der Leserschaft vorbehalten möchte, daher sei hierauf nicht näher eingegangen. Herrschen tun Architekten jedenfalls heute nicht und ob dies dem Wohl der Gesellschaft zuträglich ist oder nicht, sei dahingestellt.

Klar ist aber, dass Hütten und Tiefgaragen ein grundsätzlicher Wesenszug gemein ist: Sie bieten Schutz. Wer etwa nachts auf einem Feld unterwegs ist und plötzlich bricht sich mit der biblischen Wucht eines Theodor Storm und seines Schimmelreiters ein Sturm am Horizont seine tückische Bahn, der wird froh sein, eine verfallende Hütte am Wegesrand zu entdecken. Noch besser ist es, wenn bereits einige Holzpfähle aus dem archaischen Bauwerk gebrochen sind, denn dies erleichtert den Einstieg für den leidgeprüften Wandersmann.  Schlecht natürlich, wenn etwa ein Europäischer Braunbär ( Ursus Arctos) ebenfalls Zuflucht im Bretterverschlag gefunden hat: Hier könnte ein Zielkonflikt zum Nachteil des Wanderers ausbrechen, was allerdings selten ist, da Braunbären in unseren Breiten in die Zuständigkeit der CSU-geführten Jägerschaft gehören und es daher meist nicht in die nächste Hütte schaffen.

Auch die Tiefgarage ist ein Ort einer gewissen Heimeligkeit. Immerhin ist es hier im Winter erheblich wärmer als draußen, was diese Orte zu gerne genutzten Anlaufplätzen Obdachloser macht, die indes heute gerne verjagt werden, was wiederum mit den angelsächsischen Wirtschaftsmechanismen zu tun hat, die daher und speziell jetzt in der wieder medial aufdämmernden Weihnachtszeit rundheraus zu verdammen sind.

In der Tiefgarage wartet auch kein schlafender Braunbär, jedenfalls nicht in unseren Breiten. Allerdings gibt es Frauenparkplätze, was auf eine gewisse Unsicherheit der Tiefgarage verweist, denn es gibt diese speziell ausgeleuchteten Flächen natürlich nur  wegen zahlreicher Vorfälle, die sich in Tiefgaragen zugetragen haben, ehe man letztlich der wirtschaftlichen Vernunft gehorchend auf die Idee kam, solche Frauenparkplätze zu errichten.  Ähnlich der Hütte verspricht die Tiefgarage also Schutz und Schrecken zugleich.

Noch gibt es in den schmucklosen Gebilden zwar als Folge eines neuen Trends keine Horrorclown-Parkplätze, aber die feindliche Übernahme unserer Bräuche durch zubehörintensive semisakrale Konsumrituale wie dem Valentinstag und dem Halloween hat ihren Vernichtungsfeldzug gegen das weniger materiell gelagerte Spirituelle ja erst begonnen. Man ist allerdings schon recht weit, vergleichbar etwa mit dem jüngeren Moltke im September 1914, aber der ließ sich wenigstens von Oberstleutnant Hentsch noch stoppen, was wiederum letzten Endes einen Herrn Falkenhayn auf den Plan rief und das hätte nun wirklich nicht sein müssen.

Vielleicht fühlt man sich deshalb ja beim Betreten einer Tiefgarage in einer Kleinstadt gerne an Verdun erinnert: Der verbunkerte  Widerstand gegen das weltweite Geschehen tritt auf den Schlachtfeldern um Fort Douaumont oder den Hügel „Toter Mann“ mitunter ebenso zutage wie in den Katakomben einer Kreissparkasse.

Den leicht drogengeschwängerten Abgasen in einer nicht belüfteten Tiefgarage möchte ich allerdings nicht die Giftgasschwaden in Flandern oder vor Amiens als Vergleichsobjekte gegenüberstellen, zumal dies nicht nur geschmacklos sondern auch sehr ungesund sein kann.

Ich empfehle kommenden Weltkriegstouristen und Sammlern von Militaria von Originalschauplätzen aber gerne einen Besuch in einer Tiefgarage, um sich auf jene spezielle Atmosphäre der Unheimlichkeit und des schaurigen Wohlbefindens vorbereiten zu können, die solchen Plätzen anhaftet.  Auch eine Tauschbörse für morbides Material aus dem Großen Krieg 1914-1918 fände in einer Tiefgarage sicher einen schwer zu übertreffenden Austragungsort.

Nun aber zur Ästhetik von Hütten und Tiefgaragen

Der Mensch hat noch nie Anstrengungen gescheut, um sich und seine Existenz über die seiner Mitgeschöpfe zu stellen. Solche Gedankenspiele oder „philosophische“ Konstrukte begründen noch heute Umweltzerstörung und Massentierhaltung. Neben religiöse Vorstellungen traten  auch ästhetische Argumente: Einzig der Mensch sei in der Lage, abstrakt zu denken und damit eben auch Dinge zu erschaffen, die zwar keinem Zweck dienen, dafür aber „schön“ anzusehen sind.

„Macht Euch die Erde untertan“ (1. Mose 1; 28) soll der Herr geraten und damit Weisung gegeben haben, den Planeten zu verschandeln.  Der funktionelle Kapitalismus unserer Zeit hat sich die spirituell geprägte Argumentation in überall sichtbarer Weise zu Eigen gemacht. Andererseits ist es seit urzeitlichen Höhlenmalereien zu Veränderungen der natürlichen Umgebung gekommen, die von atemberaubender Schönheit sind.

Man kann also irgendwelcher Bankengebäude zum Trotz feststellen: Homo Sapiens ist in der Lage, ästhetische Anpassungen seiner Umgebung vorzunehmen, die keinem Zweck dienen außer zu gefallen oder womöglich religiöse Bedürfnisse zu bedienen.  Dies wird als Fantasie bezeichnet und untermauert  den Anspruch des zweibeinigen Primaten, seine Umwelt dominieren zu wollen.

Man kann indes ebenso feststellen: Er ist unter erheblichen Aufwendungen auch in der Lage, Dinge zu entwerfen und zu bauen, die einer nachgerade  unvorstellbaren Einfallslosigkeit bedürfen.

Die fulminante Funktionalität und fehlende Ästhetik einer Tiefgarage dürfte kommenden Generationen von Archäologen jedenfalls Rätsel aufgeben, so sie dem ursprünglichen Zweck des enigmatischen Bauwerks nicht gewahr sein sollten.

Der Mensch, der sich viel darauf einbildet, über Fantasie und Veränderungskraft zu verfügen und dadurch meint, sich von Tieren abzuheben, ist also auch fähig, Bauwerke zu erschaffen, die einfallsloser als ein Fuchs-, besser noch ein Dachsbau sind.

Grimbart gilt nämlich als der bessere weil fleißigere Baumeister als Reineke, der daher nicht zu Unrecht als der Schlauere der beiden betrachtet werden kann, denn er nutzt die Bauten, die sein miesepetriger Nachbar im Schweiße seines schwarz-weißen Angesichts gebuddelt hat. Er baut beständig neue Gänge, die dann zu guten Teilen im Nichts münden. Warum er das tut, ist nicht genau geklärt; vielleicht ist ihm einfach langweilig oder er leidet an ADHS.

Hütten hingegen sind zwar auf den ersten Blick schön und romantisch, was aber eher ihrer Umgebung geschuldet sein dürfte: Eine in einer Tiefgarage aufgebaute Hütte wird dem unterirdischen Zweckbau wenig zusätzlichen Glanz verleihen, könnte aber eine Location für eine kleine Kunstausstellung sein.

Eine solche Konstruktion würde jedoch zuvorderst beinahe zwangsläufig an das bekannte Böckenförde-Paradoxon erinnern, nach dem der freiheitliche, säkularisierte Staat von Voraussetzungen lebt, die er selbst nicht garantieren kann: Die grundsätzliche Beschaffenheit  der Tiefgarage ist nicht in der Lage, die Heimeligkeit der Hütte zu garantieren.

In der schieren Funktionalität ist die Tiefgarage indes vorzuziehen, denn sie gewährt gegebenenfalls sogar Schutz vor Luftangriffen. In einer Hütte würde ich ungern Schutz suchen, wenn Geschwader von Jagdbombern und Kampfdrohnen nordkoreanischer oder iranischer Provenienz den allzu durchlässigen Raketenschirm der Bundesluftwaffe durchbrochen haben.

Dies ist keinesfalls undenkbar in Zeiten, in denen die Verteidigungsministerin die Anschaffung von Tarnuniformen für Hochschwangere für wichtiger hält als die Instandhaltung der landeseigenen Luftabwehr.

Vermutlich wird sich diese Lage noch verschärfen, denn wer von uns kennt nicht das gleich einem Damoklesschwert über unser aller Sicherheit schwebende Gesetz von Augustine? – Wir rekapitulieren:

Norman Augustine, ein hoch dekorierter und entsprechend besoldeter Manager des Rüstungskonzerns Lockheed Martin, postulierte in den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts die unwiderlegbare These, dass die Kosten für Rüstungsgüter exponentiell, die Rüstungsausgaben aber nur linear steigen.

Daraus folgerte der weise Vordenker einer Welt voller Waffen, dass sich die Kosten für die Entwicklung und Anschaffung eines Kampfflugzeuges im Verlauf von zehn Jahren im Faktor „Vier“ erhöhen. Er hat hier nicht die Unfähigkeit der europäischen Rüstungsindustrie bedacht, ihre Produkte zeitnah zu fertigen und auszuliefern; der Faktor „Vierzig“ wäre also allemal angebrachter. Vielleicht auch der Faktor „400“, denn der Militär-Airbus „A 400 M“ ist das vermutlich kapitalste Desaster der Rüstungsgeschichte seit der Selbstversenkung der Hochseeflotte zu Scapa Flow am 21. Juni des schicksalsschweren Jahres 1919.

Augustine jedenfalls hat uns allen vor Augen geführt, dass im Jahr 2054 der amerikanische Verteidigungshaushalt nur noch zum Erwerb eines einzigen Kampfjets ausreichen wird. Schlecht für eine Nation, die seit ihrem Bestehen immer mindestens zwei parallele Kriege unterhält und schlecht auch für die Bundesluftwaffe, deren Einsatzfähigkeit auf etwa zehn Prozent geschätzt wird. Alle zehn Jahre könnte also ein Einsatz geflogen werden – der dreißigjährige Krieg erscheint hier wie ein Blitzfeldzug.

Ob es damit im Jahr 2054 eher mehr oder weniger Tiefgaragen und Hütten geben wird, vermag ich im Moment nicht vorherzusagen, zumal dieses Datum meine statistische Lebenserwartung eigentlich bereits übersteigt.

Ein wenig am Rand gesellschaftlicher Debatten steht übrigens auch die Frage, wie Eltern resp. das zumeist allein erziehende Elternteil ihrem Kind erklären sollen, dass es in einer Hütte oder einer Tiefgarage im Verlauf eines im Grunde belanglosen One-Night-Stands gezeugt wurde.

Die vielerorts auch als spirituelle Erfahrung empfundene Sexualität ist einem heranwachsenden und pubertätsbedingt nicht unbedingt ausgewogen orientierten jungen Menschen schwer vermittelbar, wenn diese zerbrechliche Person  ein profanes Zweckgebäude als Ursprungsort der eigenen Existenz demonstriert bekommt.

Pubertierende neigen der übertriebenen Romantik in einem Ausmaß zu, der sich in unserer Geschichte eigentlich nur in den Epochen der Romantik und des Klassizismus manifestiert hat: Eine zu hoher Kunst gereifte Pubertät hat sich in Lessing, Eichendorff oder auch Caspar David Friedrich in das kollektive Gedächtnis unserer nach Angaben führender PolitikerInnen der SPD und der unseligen Grünen angeblich nicht existierenden Nation zementiert, so dass viele junge Menschen es sicher als romantisch (ein sehr deutsches Wort, vergleichbar der „Sehnsucht“, die faktisch nicht in andere Sprachen zu übersetzen ist), zementiert, doch das ist lange her.

Dennoch werden die meisten Jugendlichen es als ein Kompliment sehen, in einer windschiefen Hütte nahe eines Waldes, umtost von heulenden Winden und womöglich bei prasselndem Regen in Gottes einmaligem Zeugungsakt erschaffen worden zu sein.

Weniger begeistert wären die meisten jungen Menschen sicher, wenn man ihnen eine Tiefgarage zeigt und womöglich auch noch unsensibel genug ist, um zu erwähnen, dass man nicht mehr genau weiß, an welchem Pfeiler sich der im Grunde belanglose Akt nach einer durchfeierten Nacht zugetragen hat und dass man eigentlich nur noch weiß, dass man kurz gestört wurde, weil ein anderes Paar da gerade ausparken wollte.

Man sieht: Bei allen Gemeinsamkeiten können Hütten und Tiefgaragen auch ganze Welten trennen.

Doch nun sei es genug mit den erschöpfenden Ausführungen über Hütten und Garagen.

Ich kann nur hoffen und beten, dass auch zukünftige Generationen mit der atavistischen Funktionsästhetik solcher Bauten konfrontiert bleiben werden und wünsche viel Freude bei der Betrachtung der Bilder.

Ein Nachsatz sei aus aktuellem Ansatz gestattet: In einer Tiefgarage zu Istanbul wollen Ermittler irgendwelcher klandestiner Dienste vermutlich nicht nur türkischer Provenienz nun Gegenstände aus dem privaten Besitz des Journalisten Jamal Kashoggi sichergestellt haben. Dies könnte belegen, dass der Neffe des einstmals global agierenden Waffenhändlers Adnan Kashoggi, dem die Welt zumindest in Teilen zu verdanken hat, dass ein international wie national vollkommen absurd auftretender Staat wie Pakistan mittlerweile leider zu den Nuklearmächten gezählt werden muss, dass jener Jamal Kashoggi von seinen Peinigern also nicht nur ermordet sondern dann auch noch ausgeplündert wurde und das in einer dilettantischen Weise, die den neutralen Betrachter sprachlos machen kann, nicht aber den wie immer polternden US-Präsidenten.

Dies mag ich an dieser Stelle nicht weiter ausführen, was sicher verständlich ist.

Immerhin scheinen aber sogar die gedungenen Killer des sicher unter den Top Ten der ekelerregendsten Monarchenhäusern oder –zelten der Welt rangierenden Saudi-Arabien die schützende, beruhigende Atmosphäre einer Tiefgarage zur Begehung oder Vertuschung der finstersten und auch brutalsten Taten irgendwie gespürt zu haben und mit der Instinktsicherheit des Raubtieres mit einem wenig sicheren Ort in der Mitte der Nahrungskette, das wir dereinst darstellten, wurde ein solcher Ort gewählt, obschon es in der heutigen Zeit enormer Dummheit bedarf, Zeugnisse einer Bluttat in einem Parkhaus verstecken zu wollen.

Den internationalen Ermittlern in diesem grotesken Kriminalfall sei geraten, nach den Überresten Kashoggis womöglich in einer leerstehenden Hütte zu suchen.

Wie man in dieser Präsentation sehen kann, eignet sich eine Kombination solcher Orte wie kaum eine Andere für das perfekte Verbrechen.

– Frank Schön